Irene Orati:
Herkunft und Entwicklung.
Illustrierte griechische Bücher 1900-1950

Ziel der Ausstellung „Mythologien des Buches. Zeitgenössische Griechische Künstler" ist die Gesamtdarstellung der Buchillustrationen griechischer Künstler. Die erste Einheit der Ausstellung umfasst eine Reihe repräsentativer Ausgaben, die für bestimmte Epochen kennzeichnend waren, besondere Charakteristika aufweisen oder in der relativ kurzen Geschichte der neugriechischen illustrierten Ausgaben als Vorbilder fungierten.

Ohne Zweifel gibt es sehr viele bedeutende Bücher, die von griechischen Künstlern in der Zeit von 1900 bis 1950 illustriert wurden. Diese Epoche wird in der ersten Einheit abgedeckt. Die Auswahl der konkreten Veröffentlichungen hat zum Ziel, die Anfänge darzustellen, die Entwicklung zu zeichnen und bestimmte Bücher –Meilensteine– die in dieser Zeit veröffentlicht wurden, hervorzuheben.

Die Tradition des europäischen illustrierten Buches mit seiner lückenlosen Geschichte von den illustrierten Handschriften des Mittelalters bis zu den heutigen digitalen Ausgaben, findet in der griechischen Kunst keine Entsprechung.

Historische Umstände, deren Ergebnis die Isolierung der griechischen Zentren von den bürgerlichen Zentren Europas war, begrenzten den Vertrieb solcher Ausgaben auf kirchliche Kreise und kleine Gemeinden der griechischen Diaspora, die in Städten Mitteleuropas lebten.

Ohne also die Verbreitung, die das illustrierte Buch in Europa im 18. und 19. Jahrhundert erlebte, mitverfolgen zu können, setzte Griechenland die ersten Zeichen seiner Existenz erst Anfang des 20. Jahrhunderts, indem es zu Beginn wenig risikofreudig und später auch experimentell verschiedene Illustrationstechniken übernahm. So war es nur natürlich, dass die ersten Versuche mehr von der allgemein akzeptierten Ästhetik des Symbolismus und der traditionellen Buchrezeption des 19. Jahrhunderts beeinflusst wurden, als von den radikalen Strömungen der ersten Jahrzehnte, die die Ästhetik des Buchs im 20. Jahrhundert formten.

In Paris wurden die illustrierten editions de luxes mit mehr als einer Suite hauptsächlich mit Radierungen auf teurem Papier gedruckt und bereits ab 1880 veröffentlicht, die Sammelausgaben der livres d´artistes hingegen in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts. Sie verbinden die Werke der Künstler mit den ehrgeizigen Visionen von Kunstverlegern wie D.H. Kahnweiler und A. Vollard, die Reformen in der Ästhetik einführten, die von der Leserschaft, deren Vorlieben eher bei den traditionellen Formen der Illustration lagen, nicht immer akzeptiert wurden.

In Griechenland erschienen ähnliche Veröffentlichungen Anfang der 20er Jahre. Sie stammten von Verlagen aus dem Ausland oder von den Künstlern selbst, die diese illustrierten, erreichten Griechenland nur bruchstückhaft und waren für bibliophile Ausgaben bestimmt. Mehr als ein Jahrzehnt war nötig, damit auch in Athen Verlage Aufträge für die Illustration von Bildbänden vergaben –hauptsächlich an Graveure– und dann in sehr kleiner Auflage.

Yannis Kefalinos
Erscheine und schweige, 1951
Yannis Kefalinos
Anatole France, Sur la Pierre blanche, 1924
Dimitris Galanis, Lycourgos Kogevinas und Yiannis Kefalinos sind drei griechische Künstler, die Anfang des Jahrhunderts in Paris lebten und die Interessen der französischen Leserschaft kennen lernten. Sie wandten sich der Illustration von Büchern zu und arbeiteten mit Verlagen für die Produktion von hauptsächlich gemeinsamen Veröffentlichungen zusammen, während sie die Kosten für die Veröffentlichung eines Bildbandes, dessen Inhalt sie besonders interessierte, oft selbst übernahmen.

Galanis nahm die französische Staatsbürgerschaft schon sehr früh an und lebte bis zum Ende seines Lebens in Paris. Er kannte Derain, Maillol und Matisse und ihre Werke im Bereich der Illustration persönlich. Galanis verinnerlichte jedoch mehr die Ästhetik Maillols als die avantgardistischen Techniken und die Ästhetik des Fauvismus von Matisse. Die von ihm bevorzugten Kompositionen entsprechen eher der traditionellen Illustration und drücken sich in den perfekt ausgearbeiteten Veröffentlichungen (Carmen, Nourritures Terrestres, Terre Natale) in kunstvollen Marginalien und Fußzeilen, beeindruckenden Initialen, ganzseitigen Titeleien sowie erzählerischen ganzseitigen Bildern aus. Galanis fertigte Radierungen und Kupferstiche mit schwarzer Technik und etwas seltener Holzstiche an (Oedipus the King). Als ästhetisch unübertroffen gilt der Bildband der Histoire Naturelle, die man zu den vollständigsten Illustrationen entsprechender Texte zählt, zusammen mit den von H. Toulouse-Lautrec (1899) illustrierten Histoires Naturelles von J. Renard und der Histoire Naturelle von P.Picasso (1942). Charakteri-stisch ist jedenfalls, dass Galanis keine Texte von griechischen Schriftstellern illustrierte und er nur in wenigen Situationen von den griechischen Klassikern inspiriert wurde (Idylles de Theocrite).

Dimitrios Galanis
André Gide, Les Nourritures Terrestres, 1930
Lycourgos Kogevinas
Marie Aspiotis & René Puaux, Corfu, 1930
Im Gegensatz zu ihm zog der Maler und Graveur Lycourgos Kogevinas Themen vor, die die griechische historische Landschaft behandelten, und indem er diese mit Texten französischer Griechenlandforscher verband, schuf er Ausgaben mit perfekt ausgearbeiteten und detaillierten Radierungen (Grèce Paysages antiques, Le Mont Athos, Corfu u.a.).

Yiannis Kefalinos beschäftigte sich in seiner Pariser Zeit mit der Illustration von französischen literarischen Texten (Sur la Pierre blanche), hauptsächlich konzentrierte er sich jedoch auf die Ästhetik des Buches, was ihn später auch auf die Idee brachte, einen neuen griechischen Schriftzug zu entwerfen. Als er nach Griechenland zurückkam, bearbeitete er zwei großartige Veröffen-tlichungen. Der Bildband 10 weiße Lykethen des Museums Athen mit aufeinander folgenden Drucken verschiedener Techniken (Kupferstich mit Nadel, Radierung, Aquatinta und kolorierter Holzschnitt) auf demselben Blatt vermittelt exakt den Eindruck der feingezeichneten Linie der Kompositionen der klassischen attischen Lykethen in einer Ausgabe von einmaliger Ästhetik, der es gelang, die Atmosphäre der verlorenen klassischen Malerei zu vermitteln.

Efthymios Papadimitriou, Solomon, Lied der Lieder, 1938
Der fortschrittliche pädagogische Bildband Der Pfau mit seinen eigenartigen diagonalen Kompositionen, den einheitlichen Farboberflächen und den klaren Formen, gilt auch heute noch als ein vollkommenes Beispiel für klaren Ausdruck in den Texten und Schlichtheit in der Illustration.

In Athen wurden ab Mitte der 30er Jahre illustrierte Ausgaben und Bildbände in begrenzter Auflage –vorwiegend mit Holzstichen– kunstvoll angefertigt und gewannen eine stetige Leserschaft. Die Periode allerdings, in der diese Technik ihren Höhepunkt erlebte, war die Zeit des Krieges (1940-1945). Das Bedürfnis nach Kommunikation, der Mangel an Malutensilien und der Drang sich aufzulehnen, brachten die meisten griechischen Künstler dazu, sich mit jeder Art von Druckerzeugnis zu beschäftigen. Einige machten Drucke, die handgeschriebene Texte illustrierten (Aus den Wänden), andere wiederum organisierten sich illegal in Gruppen und fertigten kleine Holzschnitte an, die sie in Bildbänden verbreiteten (Altar der Freiheit). Bei der Sichtung des Materials der Besatzungszeit entdeckt man viele versteckte Fähigkeiten von Künstlern, die sich mit der Illustration von Büchern ausschließlich in dieser konkreten Zeit intensiv beschäftigten.

In den 50er Jahren erlebte das illustrierte Buch in Griechenland seine größte Verbreitung. Es wurden große Bildbände veröffentlicht, hauptsächlich mit kolorierten Holzstichen, die vorwiegend Texte der klassischen und historischen Literatur und weniger zeitgenössische literarische Texte illustrierten. Ihre Bilder sind schlicht und zeigen den Einfluss der klassischen und byzantinischen Illustrationen und hin und wieder auch den Einfluss der zeitgenössischen europäischen Tendenzen auf.

In ihrer Gesamtheit gelang es den griechischen, mit Gravuren illustrierten Ausgaben innerhalb weniger Jahrzehnte, eine Tradition zu schaffen und bei der Leserschaft größere Bekanntheit zu erlangen. 

Ohne Zweifel gibt die Verbindung von Druckkunst und Buch einem die Möglichkeit, den Text durch die Dimension der bildenden Kunst zu erweitern, damit diese bestimmendes Mittel „optischer Kommunikation" werden kann.

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