Efi Strousa:
Mythologien des Buches
Zeitgenössische griechische Künstler (Seite 1)

Vorwort

Die Ausstellung „Mythologien des Buches" stellt einen ersten Versuch dar, die vielseitigen Beziehungen, die griechische Künstler sowohl zum Buch als auch zu den Bedeutungen von Wort und Schrift zu verschiedenen Zeiten seit Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts bis heute entwickelt haben, zu untersuchen. Unser Ziel war es, einige der bedeutsamsten und bemerkenswertesten Beispiele dieses Gebiets hervorzuheben und zusammenzustellen, die eine ihnen eigene Tendenz bei der Erweiterung des riesigen Bereichs gegenseitiger Beeinflussung von Wort, Schrift und Bild verkörpern. Die in dieser Ausstellung gezeigten Werke sind Ausschnitte verschiedener autonomer Teile aus künstlerischer Forschung, bei der die Darstellung des Wortes oder der Schrift bzw. ihre Integration im Buch oder anderen Lese- und Kommunikationsmitteln, wie etwa Video oder Ton, eine geradlinige Methode des Denkens und Eindringens in die Bedeutung der Sprache der Kunst visuellen widerspiegeln bzw. eine wichtige Station in der Entwicklung der sprachlichen Identität des Künstlers vertreten.

Mit dieser Zusammenstellung können auf den ersten Blick die besonderen Merkmale in jedem Werk erkannt werden, die die verschiedenen Richtungen der Sprachauffassung und die unterschiedlichen ästhetischen und theoretischen Stützen bei der Formulierung einer neuen Ausdrucksform der bildenden Kunst kennzeichnen und die in jedem Einzelfall jeweils einen unterschiedlichen Aspekt des Kerns zeitgenössischer Ideologien jeder Epoche berühren. Das Kunstwerk als Text und Buch, in dem Wort und Schrift enthalten sind, bestimmt genauestens die duale Natur der Kunst als natürlichen und materiellen Raum, und vor allem als intellektuellen und geistigen Raum.

Gleichzeitig gibt das Thema des Buches und die Art und Weise, wie es diachron in der zeitgenössischen griechischer Kunst behandelt wird, auch neue Hinweise zur Lesart der verschiedenen Wege, auf denen sich einzelne griechische Künstler entwickelt haben auf der Suche nach den eigenen ästhetischen und theoretischen Bezugspunkten.

Der Bereich der Buchillustration, der von der Kunsthistorikern Irene Orati bearbeitet wurde, lenkt die Aufmerksamkeit auf seltene Ausgaben, die von großen Künstlern aus der ersten Hälfte des Jahrhunderts gestaltet wurden und die Einleitung zu dieser Ausstellung darstellen. Dieser ausgewählte Blick auf einige der bemerkenswertesten Beispiele aus Gravur- und Drucktechnik griechischer Künstler stellt gleichzeitig die bemerkenswerte Virtuosität bei der Beherrschung traditioneller Techniken unter Beweis. Dies war eine Schule, die nachfolgenden Experimenten mit verschiedenen sprachlichen Ausdruckstechniken eine feste Grundlage gegeben hat.

Die Auffassung von Kunst als Sprache, die den Gedanken rekonstruiert, findet sich in einem breiten Spektrum des künstlerischen Schaffens von Griechen, vor allen seit Anfang der 60er Jahre und danach. Auf der Suche nach den tieferen Wurzeln ihres komplexen kulturellen Charakters, sowohl nach den Berührung-spunkten als auch den Schnittpunkten mit dem Rest der Welt, haben griechische Künstler ihre künstlerischen Dialekte über eine alte Tradition fruchtbar gemacht, die Reise und die Diaspora. Indem sie unaufhörlich die unruhigen Wanderungen des Menschen des zwanzigsten Jahrhunderts und dessen heutige Suche begleiteten, schufen sie ihre eigenen Mythen an verschiedenen neuen Orten. Diese Ausstellung hebt die Fähigkeit hervor, ein unendliches Epos weiterzuschreiben, und dies stellt auch ihre reale Identität dar. Wie kann man auch einen Mythos in einem Buch einschließen, in einem geschlossenen Kunstwerk? Dies ist die Frage, die den Bildern entspringt, die von den griechischen Künstlern geschaffen wurden, indem sie gleichzeitig auch das Bewußtsein der großen Frage ausdrücken, das die moderne Kunst beschäftigt und auch weiterhin einem Großteil der zeitgenössischen künstlerischen Produktion zu Grunde liegt.

In der globalen Kultur der optischen Kommunikation verwandelt sich der alte Kampf zwischen Wort, Schrift und Bild zu einer alliierten Kraft, die den Zündstoff für die unaufhörliche Veränderung der Kommunikationskodes in der zeitgenössischen Kunst bildet. Auch wenn griechische Künstler ihr optisches Feld durch die Zentrierung auf ständige intellektuelle Veränderungen und die kritische Sicht der modernen Welt erneuert haben und auch weiterhin erneuern, haben sie zu verschiedenen Zeiten immer näher zu den Ursprüngen ihrer Herkunft zurückgefunden, zu den Odysseen, die ein jeder erleben und in einer erneuerten künstlerischen Sprache erzählen wollte.

Wort und Schrift im Raum

Wenn auch in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts das Buch in die künstlerische Produktion eindringt, kunstvoll nach den Vorbildern der klassischen Tendenzen hergestellt, nimmt seit den 60er Jahren das Interesse am Buch neue Dimensionen an. Das breitgefächerte Thema der Krise der Kommunikationskodes im zwanzigsten Jahrhundert und der nachfolgenden Veränderungen in der Kunst, wie das Experimentieren durch Kombination neuer Sprachen und Schriftmittel, stößt in der griechischen Kunstproduktion auf interessante Reaktionen, bei denen Ausdrucksmittel durch die Verwendung neuer Materialien bereichert werden. Bei der Konzentration der Aufmerksamkeit auf Wort und Schrift, auf die Kunst als offenen Text, auf das Kunstwerk als Universum von Worten, Zeiten und veränderten syntaktischen Regeln spielen einige Griechen der Diaspora eine führende Rolle. 
 


Yannis Kounellis
Ohne Titel, 1963
Emaille auf Leinen, 270x240 cm.
Privatsammlung
(wird im Ausstellungsraum nicht ausgestellt)
Yannis Kounellis, Lucas Samaras, Chryssa und Constantin Xenakis gehören zu den Künstlern, die sich vollständig entwickelt und ständig im Ausland gelebt haben.
Seit Ende der 50er Jahre schafft Yannis Kounellis eine Reihe von Bildern mit Wörtern und Sätzen, die der Kultur der Alltagserfahrungen entlehnt sind. 
Zu Beginn der 60er Jahre konstruiert Lucas Samaras Bücher, die sich später zu seinen berühmten und bewunderten Kisten entwickeln werden. Ein Universum von Wort-Objekten quillt aus Book #3 (Beginning French) (wird im Ausstellungsraum nicht ausgestellt).
 
Chryssa
Kykladenbücher, 1957-1962
Chryssa gründet ihre gesamte Methode auf die Neuordnung eines neuen bildnerischen und plastischen Lexikons, das von der Kultur der Riesen-Schilder, die ganz Manhattan kennzeichnen, inspiriert wird. Die Buchstaben des Alphabets bilden die Struktur ihrer plastischen Sprache. 

Lucas Samaras
Book #3 (Beginning French), 1962
nadelloses Buch mit reinem Mull
Portalakis Sammlung
(wird im Ausstellungsraum nicht ausgestellt)
Constantin Xenakis
Boustrofydon, 1987
gemischte Medien, 72x61x61 cm.
(wird im Ausstellungsraum nicht ausgestellt)
Constantin Xenakis
Quatres Livres de la Vie
1998
Constantin Xenakis arbeitet seit Mitte der 60er Jahre systematisch an der Erweiterung der Sprache der Zeichen, wobei er anfangs Verkehrszeichen entweder in ihrem Umfeld oder auf den flachen Oberflächen der Leinwände verwendete, die sich in Elemente eines persönlichen aus Ideogrammen bestehenden Alphabets verwandelten. Das Buch ist der Raum par excellence, den Xenakis zu ständigen Metamorphosen herausfordert. 
Pavlos
Bibliothèque, 1965
Pavlos führte eine intelligente Dialektik ein durch die Verwendung von Druckmaterial, als er 1963 damit begann, Werke aus zerschnittenen Büchern und Postern zu schaffen. Eins der wichtigsten Werke aus dieser Periode, die Bibliothèque, eine Tautosemie zwischen Material und Bild, wird in dieser Ausstellung gezeigt.
 


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