Efi Strousa:
Mythologien des Buches
Zeitgenössische griechische Künstler (Seite 2)

Bei Stephen Antonakos, der sich seit 1980 systematisch der Herstellung von Büchern widmet, ist es interessant zu beobachten, dass die Neonelemente, mit denen er seit den 60er Jahren die Räume seiner Environnements abgrenzt bzw. später in seinen öffentlichen Werken als Urelemente eines Alphabets funktionieren, die auf die flache Oberfläche des Papiers und der Cuttings verschoben bzw. graviert werden und die er auch in seinen späteren Büchern verwendet.
Stephen Antonakos
Alphavitos, 1986-1990, Vorderseite, Ruckseite
 In Griechenland wird eine der interessantesten Annäherungen an die vielseitigen Bedeutungen der Schrift und des Buches zweifellos von Dimitris Condos durch die Werke Roman Pictural (1967) und Tagebuch (1971)vorgenommen.
Während seit Anfang der 60er Jahre aus den Bildern von Jannis Spyropoulos gravierte Skizzen eines Uralphabets und Bruchstücke der zeitgenössischen Druckproduktion aus den Tiefen des bildenden Raums geboren werden bzw. in diesen aufgesaugt werden.
Dimitris Condos
Roman Pictural, 1967
Jannis Spyropoulos
Triptychon D (TKE 890), 1964
Die jüngeren Künstler, die ihre Präsenz seit Anfang der 70er Jahre spürbar machen, richten ihre Aufmerksamkeit vor allem auf die grundlegende Frage nach der Sprache, indem sie verschiedene, für die griechische Kunst lebenswichtige, Meinungen im Hinblick auf die Tendenzen der konzeptuellen Annäherung an die Kunst entwickeln. Die Künstler Dimitri Alithinos, Yorgos Lazongas und Bia Davou sind die führenden Figuren auf diesem Gebiet. Mit ihren sprachlichen Neuerungen, die innerhalb der griechischen Künstlerszene heranwachsen, tragen sie entscheidend dazu bei, einen fruchtbaren Boden sowohl für die Erneuerung des Blickwinkels älterer Generationen zu schaffen, wie die Entwicklung des Werks von Achilleas Aperghis zeigt, als auch neue Bezugspunkte in der zeitgenössischen künstlerischen Forschung herauszubilden. Diese werden von den späteren Generationen, angefangen George Hadzimichalis bis Kostas Archaniotis und Alexandros Psychoulis und all denjenigen, die auch weiterhin mit geschärftem Sinn und Erfindungsgeist das ewige Geschwisterpaar der bildnerischen Sprache, Wort-Bild, in den Vordergrund gestellt, angenommen und mit neuer Sensibilität bereichert haben.
Das Künstlerbuch

Ein wichtiges Kapitel in der Geschichte der gemeinsamen Existenz von Wort-Schrift-Bild ist der Bereich künstlerischen Schaffens, der sich Künstlerbuch nennt. Interessant ist, daß dieser Raum mit bemerkenswerter Inspiration auch von Künstlern gepflegt wurde, deren Hauptwerk sich in der natürlichen Umwelt entwickelt. Aufgrund des Bedürfnisses nach der Transposition vom Makrokosmos zum Mikrokosmos, vom Ergießen des Gedankens in den äußeren Raum zu seiner Konzentration auf einen inneren, haben Künstler wie Stephen Antonakos und andere, jungere und verdientewie, Theodoulos, Maria Loizidou, Dimitris Tragas und Yorgos Tsakiris einige außergewöhnliche Beispiele für das Buch als Kunstwerk gegeben. Gleichzeitig hat sich die Arbeit von Despina Meimaroglou über die gegenseitige Beeinflussung des ästhetischen, sozialen und politischen Bewußtseins, die sie vor allem über die Photographie und das Druckmaterial ihrer Zeit entwickelt hat, auf Buch-Werke großer Schärfe und besonderer Sensibilität konzentriert, die sich thematisch insbesondere auf soziale Gewalt und humanitäre Interessensgebiete beziehen. Die Vereinigung des Gedanken und das Eindringen der Erzählung in die Welt des Bildes wird geschickt und mit schriftstellerischem Geist vom vielseitigen Künstler und Schriftsteller Nikos Houliaras gepflegt. Die stetige Hinwendung Leoni Vidali auf die Erforschung neuer Normen in der Beziehung von Kunst und Druck, hat einen wichtigen Beitrag zur Hochschulausbildung durch die Einführung neuer Zeichen- und Gravurtechniken in den Bereich des Buches geleistet.

Die vielseitige Persönlichkeit von Demosthene Agrafiotis, der an die Beziehung zwischen Wort, Schrift und Kunst durch seine schriftstellerischen, theoretischen und herausgeberischen Aktivitäten von verschiedenen Seiten herangegangen ist, ging durch die Herausgabe der wichtigen Hefte des Blatts/der Zeitschrift Clinamen in die Geschichte ein. In seiner künstlerischen Eigenschaft nimmt er an der Ausstellung mit der Tonübertragung des Werks Ta Alphabetaria (Die Lesebücher), mit Musik von Dimitris Kamarotos (2000) teil und dem Video 24 Pidéo, Voésie (einem Wortspiel über Video, Poésie) aus dem Jahre 1993.

Das Künstlerbuch wurde durch die ausführlichen Untersuchungen, die theoretische Interpretation und die poetische Annäherung von Kyrillos Sarris wesentlich verstärkt, dessen Position unverändert im Katalog eingetragen ist. In der Ausstellung selbst ist seine Stimme im Rahmen der Lesung eines theoretischen Textes über die „Artist’s Books" von Ulises Carrión zu hören, in einer Video-Installation, bei der er den Leser-Zuschauer seiner hervorragenden Buch-Werke, sowie den Besucher dieser Ausstellung in die rätselhafte Beziehung zwischen Buch und Künstler, die gegenseitige Beeinflussung von Wissen und Poesie einfügt.

Nachwort

Die Auswahl zeitgenössischer griechischer Künstler aus dem willkürlichen kritischen Blickwinkel der „Mythologien des Buches" strebt ein doppeltes Ziel an: Einerseits stellt sie die lebendige Teilnahme griechischer Künstler an der fruchtbaren Diskussion über zeitgenössische Kunst dar, die sich mit den Veränderungen der Definition der modernen Kunst von einer internationalen Sprache hin zu einem weltweiten Kommunikationskode kultureller Eigenheiten auseinandersetzt. Andererseits hebt dieselbe Fragestellung die ältere theoretische Position der Literaturwissenschaften nicht auf, die feststellt, dass der Charakter, die Sitten und Interessen eines Volks dessen Sprache beeinflußt. In der Geschichte hatten die bildenden Künste als Sprachen verschiedener kultureller Systeme ein Reichtum an verschiedenen Ausdrucksformen sowie die Möglichkeit, künstlerisches Schaffen fortzusetzen, indem sie sowohl auf der Höhe einer bestimmten Kultur funktionierten als auch darüber hinaus. Sie strichen ältere Elemente heraus und brachten diese mit anderen –toten oder neuen– Elementen in Verbindung. Allerdings ist Griechenland, wie auch andere Länder, an der Peripherie der westlichen Welt dieser eigenständigen Entwicklung aus historischen Gründen nicht gefolgt. Die Staatsbildung, 1830, zieht auch die Identitätskrise eines Volkes nach sich, das jahrhundertelang nur durch Sprache und Religion vereint war. Für die Erweiterung und das tiefere Verständnis der neueren griechischen Kunst muss man erkennen, dass die Identitätskrise einhergeht mit der Krise der gesprochenen Sprache und der Schriftsprache, der Sprache des Volkes und jener der Gelehrten. Eine ähnliche Spaltung fand, grob gesehen, auch im Bereich der künstlerischen Ausdrucksformen statt, und sie beherrschte die ersten einhundert Jahre. Die Tradition des Volkes, die von östlichen und westlichen Vorbildern geprägt wurde, sich in den Bildern von (Panayotis) Dimitris Zografos und den berühmten Zeichnungen von Theophilos wiederspiegelt und von General Makrygiannis diktiert wurde, stellen das stärkste Gegengewicht zur akademischen Münchner Schule dar, die sich als Vorbild der „gelehrten" Sprache künstlerischen Ausdrucks durchsetzte. Bei diesem kurzen Blick auf den komplizierten Verlauf der Geschichte der griechischen Kunst ist es allerdings genauso interessant zu bemerken, dass die tatsächlich echten Maler in der Geschichte des griechischen Volkes das Bild als ein morphologisches Symbol für die Aufstellung eines neuen Alphabets benutzen. Die Bilder rekonstruieren dank der erklärenden Begleitung des Wortes, indem sie auf diese Weise die Erzähltradition eines Mythos adoptieren, der die Dimensionen eines historischen Ereignisses annimmt. Der Künstler wechselt Raum und Zeit des Bilds mit anderen aus, um dieses während der subjektiven Bewertung mit dem besonderen Charakter des umgebenden Mythos zu färben. Diese komplexe und sehr vielschichtige Annäherungsweise an das Verhältnis von Wort und Schrift, Wort und Bild, das als ein Proöm in der späteren Tendenz zur intellektuelleren Verarbeitung des Systems bildender Kunst gesehen werden könnte, so wie es sich entwickelt hat und für den griechischen Künstler eine zentrale Achse darstellt, wurde bislang weder besonders untersucht noch genauestens studiert. Sicherlich ist dies auch der besonderen Aufmerksamkeit der Unterstützer des „Griechentums" seit den 30er Jahren entgangen.

Im Rahmen dieser Ausstellung werden die unterschiedlichen Annäherungsweisen an grundlegende Fragestellungen wie Sprache-Bild /Gedanke-Form/idealistische Auffassungsweise von Kultur und Kunst als eine Form ihrer Nachahmung, dargestellt, so wie diese von griechischen Künstlern verarbeitet wurde, die –ein jeder aus seinem Blickwinkel– die Notwendigkeit der Überbrückung zwischen der zweipoligen Besonderheit des Gedankens und den internationalen Kommunikationskodices sahen.
 

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